In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Hg. von K.-H. Bohrer und Kurt Scheel. Bd. 61 (2007) H.8/9. S.742-752.
Heroischen Gesellschaften ist der Gedanke des Opfers zentral: Erst die Bereitschaft zur Hingabe auch des eigenen Lebens im Dienst der Gesellschaft erbringt die Fülle des Prestiges für den Helden. Da die Opferidee ohne religiösen Transzendenzbezug nicht vorstellbar ist, führt die Auflösung religiöser Verbindlichkeiten in postheroische Verhältnisse. Nur solange Gesellschaften es vermögen, das Opfern des Lebens symbolisch (religiös oder ideologisch) und sozial integrierend aufzuladen, bleibt das Heroische intakt. Unabdingbar sei dabei, so Münkler, die narrativ-literarische Verdopplung des Helden, die als Gestaltung des heroischen Diskurses "die Regeln und Codices hervorbringt und kontrolliert, nach denen Gewaltanwendung zulässig und ehrenhaft ist." (744) Erst die Formation des Heldendiskurses durch Literatur schafft ein Ethos des Heroischen.
Auch die geschichtspessimistische Klage über Niedergang und Verfall, über die epochale Dekadenz der Gegenwart, gehört zum Narrativ des heroischen Heldenliedes, dessen Perspektive stets rückwärtsgewandt ist und das Gegenwart wie Zukunft als tragisches Untergangsszenario imaginiert. Die Brisanz heroischer Gesellschaften liegt nun in ihrer Affinität zur kriegerischen Gewalt als Mittel der Erneuerung gegen drohenden Niedergang.
Heroische Dispositionen gründen eher in der Sozialität der Gemeinschaft (gemeinsame Abstammungs- oder Wertvorstellungen) als in der Form der Gesellschaft (funktionale Organisation), gegen die sich die heroische Gemeinschaft durch ein spezifisches Ethos exklusiv abgrenzt. Ihre Existenzbedinungen bildet einerseits die stets von Erosion bedrohte Grenzziehung zur Umwelt, andererseits bedarf sie "periodischer Revitalisierung" (748) in der Ausnahmesituation des kriegerischen Kampfes.
Kennzeichnend für die europäische Moderne sei nun eine Ausweitung heroischer Exklusivität hin zur breiten nationalen Inklusionsfunktion heroischer Mentalitäten wie Opferbereitschaft und Ehrakkumulation. Mit dieser Entstehung heroischer Gesellschaften sei ein Ende des Dekadenznarrativs einhergegangen; an dessen Stelle trat nun ein "Zustand der Dauererregung" (749) von aggressiver Siegesgewissheit. Auf die totale Verausgabung im Kriegsfall folge nun der Übergang ins Stadium einer postheroischen Gesellschaft und die Relativierung heroischer Dispositionen, gedeutet als Fortschritts- und Lernprozess.
Problematisch im globalen Maßstab sei die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Während der Westen bereits ins postheroische Zeitalter eingetreten ist, blühen in anderen Teilen der Welt heroische Mentalitäten auf materieller (Vielzahl der Söhne) und ideeller Grundlage (religiöse Vorstellungen). Fundamentalistischer Terrorismus sei auch zu verstehen als Herausforderung postheroischer Gesellschaften durch heroische Gemeinschaften mit allen Folgeerscheinungen eines asymetrischen Konfliktes.